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Aufbau von Primärversorgungsnetzwerken im Landkreis Sigmaringen
Im Sommer 2022 erteilte das Steuerungsgremium der Kommunalen Gesundheitskonferenz des Landkreises den Auftrag, die medizinische Primärversorgung im Landkreis Sigmaringen zu stärken. Hierfür sollen in einem ersten Schritt Primärversorgungsnetzwerke in den Versorgungsbereichen Bad Saulgau und Pfullendorf aufgebaut werden.
Über das Projekt
Um die ambulante Versorgung im Landkreis Sigmaringen zu stärken, bewarb sich der Landkreis im Sommer 2022 beim Land Baden-Württemberg erfolgreich um die finanzielle Unterstützung für zwei Projekte zur Verbesserung der medizinischen Primärversorgung. Hintergrund der Projekte ist die zunehmende Verschlechterung der hausärztlichen Versorgung im Landkreis Sigmaringen in den letzten Jahren. So liegt der Versorgungsgrad für die Mittelbereiche Pfullendorf nur noch bei 76,2 %, für Bad Saulgau bei 82,2 % und für Sigmaringen bei 87,3 %. Der Druck auf das Versorgungssystem erhöhte sich durch Schließungen der Krankenhäuser an den Standorten Pfullendorf und Bad Saulgau im Herbst 2022.
Der Fokus liegt zunächst auf der hausärztlichen Versorgung. Die Möglichkeit des Aufbaus von Primärversorgungszentren, z. B. an den geschlossenen Krankenhausstandorten soll geprüft werden. Falls realisierbar, soll die Einrichtung von Primärversorgungszentren an beiden Standorten in einem zweiten Schritt erfolgen.
Umsetzung
- Gründung des Arbeitskreises „Medizinische Primärversorgung“ und zwei regionaler Netzwerkgruppen an den Standorten Bad Saulgau und Pfullendorf
- Einrichtung eines Projektteams am Gesundheitsamt
- Einstellung von zwei als Netzwerkmanagern vor Ort und einer Gesundheitswissenschaftlerin als landkreisweite Gesundheitsförderin
- Wissenschaftliche Begleitung der Aktivitäten durch eine Forschungsgruppe der SRH Fernhochschule (Prof. Lutz Hager, Prof. Erwin Selg)
Welche langfristigen und kurzfristigen Ziele werden verfolgt?
Langfristig zielt das Projekt auf sechs festgelegte Ziele ab. Es handelt sich dabei um große Meilensteine die bei der weiteren Planung und Umsetzung des Projekts die Richtung weisen sollen. Diese sind folgende:
- Medizinische Primärversorgung für alle (durch regionale, hausarztzentrierte Versorgungsnetzwerke inklusive Digitalisierung zur Bewältigung der hohen Komplexität)
- Hohes Gesundheitsniveau und Gesundheitskompetenz der Bürger sowie hohe Integration zwischen selbstverantwortlichen Patienten und professioneller ärztlicher und pflegerischer Versorgung
- Hohe strategische und operative Integration aller an der Versorgung beteiligten Leistungserbringer, Kostenträger (und Patienten)
- Ökonomische Zukunftsfähigkeit
- Sicherheit, angemessene Arbeitslast und gute Arbeitsbedingungen für alle an der Versorgung Beteiligte
- An der Population ausgerichtete bedarfsgerechte nachhaltige und ökonomisch tragfähige Patientensteuerung und Versorgungsstruktur sowie ein hoher Grad an Patientensicherheit zu jedem Zeitpunkt des Patientenpfades.
Um die langfristigen Ziele zu erreichen, wurden kurz- und mittelfristige Ziele festgelegt. Diese Zielvorgaben sind konkreter und führen in ihrer Summe zur Erreichung der einzelnen Meilensteine. Es handelt sich dabei um folgende Ziele:
- Etablierung von zwei Netzwerkmanagern in Bad Saulgau und Pfullendorf
- Etablierung eines Gesundheitsförderers für den ganzen Landkreis Sigmaringen
- Konzeption eines sicheren Datentransfers
- Reduktion der Anzahl an Patientinnen und Patienten ohne Primärversorgung
- Reduktion der Anzahl chronisch kranker Patientinnen und Patienten ohne Primärversorgung
- Strukturierte empirische Erhebung des IST-Zustandes
- Erstellung eines Qualitätssicherungskonzeptes für die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität
- Öffentlichkeitsarbeit zur Förderung des Gesundheitsniveaus und der Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten
- Erweiterung der Informationsvermittlung an die Patientinnen und Patienten
- Erstellung und Umsetzung des Kooperationsmodells
- Unterstützung neuer Ärzte zur Niederlassung im LK Sigmaringen
- Entlastung der Ärzte durch Delegation nichtärztlicher und ärztlicher Aufgaben
- Integration betrieblicher Gesundheitsförderung im Netzwerk
- Obligatorischer Finanzcheck, d.h. Plausibilität der ökonomischen Zukunftsfähigkeit von Maßnahmen wird durch die Mitglieder des AK „Medizinische Primärversorgung“ (= Vertreter der Stakeholder-Gruppen) festgestellt
- Aufbau eines unterstützenden Netzwerks für an der medizinischen Versorgung Beteiligte (z. B. Kinderbetreuung)
- Definition der kurativen Behandlungspfade für die wichtigsten Erkrankungen auf Grundlage der Epidemiologie und nationaler Versorgungsleitlinien
Potenziale
- Niederschwellige Angebote zur Förderung der medizinischen Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger
- Schließen von Versorgungslücken
- Verbesserung der Patientenzufriedenheit sowie von Gesundheitswissen und Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger
- Mehrwert für das medizinische Personal: Entlastung durch die Zusammenarbeit im Netzwerk und Stärkung durch das Angebot unterstützender und betrieblicher Gesundheitsfördermaßnahmen, zusätzlich positiver Einfluss auf die Mitarbeiterfluktuation
- Steigerung der Attraktivität von Kommune und Verbesserung des Klimas im Landkreis durch Erhöhung von Zufriedenheit und Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger
- Monetärer Mehrwert für die Kommunen und den medizinischen Sektor
- Übertragbarkeit auf andere Regionen des Gesundheitsversorgungstyps fünf (Weite Entfernung von Unikliniken und spezialisierten Behandlungszentren)
Projektergebnisse
Zunächst wurde der lenkende Arbeitskreis Primärversorgung etabliert, über den zunächst in den Planungsbereichen Bad Saulgau und Pfullendorf, später auch in Sigmaringen drei Primärversorgungsnetzwerke aufgebaut werden konnten. Aktive, multiprofessionelle Netzwerkgruppen aus Vertretern der Ärzt*innen und Apotheker*innenschaft, aus dem Bereich Pflege und Therapie sowie der Kommunen arbeiten seitdem vor Ort kontinuierlich an der Verbesserung der Primärversorgungsstrukturen und -prozesse. Für die Netzwerkbetreuung wurde die Stelle einer Gesundheitsförderin für den Landkreis Sigmaringen geschaffen.
Zunächst wurde die Ist-Situation erfasst. Befragungen von Haus- und Fachärz*innen sowie anderen Gesundheitsakteuren zeigten, dass Kooperation, gegenseitige Entlastung, Delegation in den Praxen, Datenfluss und der Einsatz funktionierender digitaler Unterstützungsinstrumente ausbaufähig sind. Eine Befragung der Bevölkerung zur Patientenkompetenz ergab, dass im Überangebot an Informationen die Ärztin bzw. der Arzt die wichtigste Ratgeberfunktion innehat. Es wurde ein Set an Indikatoren zum Monitoring der Versorgungsqualität mit 40 Merkmalen erarbeitet, die vorwiegend aus amtlichen Statistiken entnommen wurden.
Aufbauend darauf wurden Lösungen für die beschriebenen Probleme erarbeitet. Entlastende digitale Anwendungen wie beispielswiese ein digitaler Terminservice oder die Televisite wurden bei einem Innovationstag Gesundheit im Landratsamt Sigmaringen vorgestellt und Anwender*innen bei der Implementierung unterstützt.
Die Stärkung der Gesundheitskompetenz im Landkreis Sigmaringen erfolgte über regelmäßige Pressarbeit und über die neu aufgebaute Homepage „Patientenservice“ mit Links zu evidenzbasierten Informations- und Patientenleitsystemen. Dabei wurden konkrete Patientenpfade für bestimmte Krankheitsbilder erarbeitet. Neue Schulungsangebote für Diabetiker*innen konnten Lücken beim Patientenpfad Diabetes schließen.
Besonders hervorzuheben ist die neu eingerichtete Fortbildungsstätte für NäPas (Nicht-Ärztliche Praxisassistenten) in Pfullendorf an der Berufsfachschule für Pflege des SRH Klinikums, und die Gründung der Verbundweiterbildung Allgemeinmedizin. NäPas helfen, die Delegation in den Praxen voranzubringen.
Maßnahmen zur Gewinnung von Ärzt*innen und Fachpersonal wurden initiiert. Dazu gehört auch die persönliche Betreuung von niederlassungswilligen Ärzten durch die Gesundheitsförderin an der Schnittstelle zwischen Kassenärztlicher Vereinigung (KVBW), Ärztin/Arzt und Kommune. Mehrere Haus- und Fachärzt*innen konnten für eine Niederlassung gewonnen werden.
Die Mitgestaltung der Primärversorgung durch den ÖGD wird zudem als sehr sinnvoll erachtet.
Wissenschaftliche Begleitung erfolgte durch Prof. Dr. Erwin Selg und Prof. Dr. Lutz Hager und Dr. Natascha Weinberger vom Forschungsverbund „Vernetzte Versorgung der Zukunft“ der SRH Fernhochschule Riedlingen.
Macherinnen und Macher
Initiiert wurde das Projekt durch den Landkreis Sigmaringen in Zusammenarbeit mit den Städten Pfullendorf und Bad Saulgau. Die Umsetzung erfolgte durch das Projektteam Primärversorgung am Gesundheitsamt Sigmaringen im Rahmen der Aktivitäten der Kommunalen Gesundheitskonferenz Landkreis Sigmaringen.
Wissenschaftliche Begleitung erfolgte durch Prof. Dr. Erwin Selg und Prof. Dr. Lutz Hager und Dr. Natascha Weinberger vom Forschungsverbund „Vernetzte Versorgung der Zukunft“ der SRH Fernhochschule Riedlingen.
Finanzierung
Die Projektphase wurde finanziert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat. Inzwischen ist das Projekt in die Nachhaltigkeit übergegangen, wird vom Landkreis Sigmaringen gefördert und vom Fachbereich Gesundheit betreut. Hierzu wurde die Stelle einer Gesundheitsförderin geschaffen.
Kommunale Gesundheitskonferenz | Landratsamt Sigmaringen
https://www.landkreis-sigmaringen.de/de/Landratsamt/Kreisverwaltung/Fachbereiche/Primaerversorgung-2023-08-24
Gesundheitsförderin Iris Weishaupt und Dr. med. Ulrike Hart
Tel.: 07571 102-6401
E-Mail: KGK@lrasig.de